Tätlicher Angriff auf Mitarbeiter des Ordnungsamtes der Stadt Sehnde: neue Dimension der Auseinandersetzung

Tätlicher Angriff auf Mitarbeiter des Ordnungsamtes der Stadt Sehnde: neue Dimension der Auseinandersetzung
Die Stadtverwaltung hat Strafantrag gestellt - Foto: JPH

Am Freitag, 4. August 2023, waren Mitarbeiter der Stadt Sehnde aus dem Ordnungsamt unterwegs, um den fließenden Verkehr auf dem „Klein Bolzumer Weg“ zu überwachen und vor allem die dort vermehrt aufgetretenen und unzulässigen schnellen Durchfahrten zu messen. Zuvor hatte sich die Stadtverwaltung die Situation vor Ort angeschaut und wegen der starken Frequentierung des eigentlich gesperrten Weges  entscheiden, dass dringender Handlungsbedarf zur Verkehrssicherheit bestehe.

Die angeordnete Kontrolle erfolgte dann in Höhe der Brücke über den Mittellandkanal. Ein Kraftfahrer fühlte sich durch sie offensichtlich so gereizt, dass er aus dem Auto ausstieg, die städtischen  Mitarbeiter zunächst verbal attackierte  und es dann zu einem Gerangel kam. Der Autofahrer entriss der Kollegin trotz Sicherung am Handgelenk mit Gewalt die Kamera und warf sie dann in den Mittellandkanal.

Im Anschluss verließ der Autofahrer mit seinem PKW die Kontrollstelle.

Der materielle Schaden steht hier weit nachrangig nach der physischen und psychischen Beeinträchtigung für die betroffene Kollegin und den betroffenen Kollegen, so die Stadtverwaltung. Beide Mitarbeiter begaben sich nach einer Aufnahme des Sachverhaltes durch die Polizei umgehend in eine notwendige ärztliche Behandlung. Zudem hat die Stadtverwaltung zusätzlich Strafantrag gestellt und die Polizei ermittelt.

Die Attacken nehmen jedoch nach einer Angabe des Ordnungsamtes und des Bürgermeisters auf die Bediensteten der Stadtverwaltung bei Ordnungsmaßnahmen, wie Parküberwachung oder Geschwindigkeitsmessungen, zu – aber der tätliche Angriff bringt eines neue Dimension in die bisherigen verbalen Beschimpfungen. Diese Arten des Umgangs, die auch schon Feuerwehrkräfte im Einsatz erfahren mussten, nimmt die Stadtverwaltung nicht hin und bringt jeden Fall zur Anzeige. Der Bürgermeister hofft auf eine Unterstützung durch die Bürger Sehndes, diese Mitarbeiter der Stadt – haupt- oder ehrenamtlich – zu schützen, auch wenn man mal anderer Meinung ist.

Er hat sich in einem Gespräch dazu geäußert.

Bürgermeister Olaf Kruse

Bürgermeister Olaf Kruse betonte schon vor dem Stadtrat, dass man alle Attacken gegen Mitarbeiter zur Anzeige bringen werde – Foto: Stadtverwaltung

Herr Kruse, lassen Sie uns zunächst vielleicht kurz noch einmal die Gesamtsituation und die Grundlagen betrachten. Warum wird der Verkehr durch die Stadtverwaltung überwacht?   

>> Im Rahmen der gesetzlichen Regelungen überwachen auch wir als Stadtverwaltung den fließenden und ruhenden Verkehr und kommen somit einer Verpflichtung nach. Aufgrund Personalmangels haben wir viele Jahre den ruhenden Verkehr nur anlassbezogen überprüft und die Überwachung des fließenden Verkehrs der Region Hannover und der Polizei überlassen. Im November 2018, ein Jahr vor meiner Amtsübernahme, wurde mit Ratsbeschluss die regelmäßige Überwachung des fließenden und ruhenden Verkehrs mit entsprechender Personal- und Materialausstattung beschlossen.

In der Folge wurden zwei Mitarbeitende eingestellt und die für die Ausübung der Tätigkeit notwendigen Ausstattungen und Geräte beschafft. Die Überwachung des ruhenden Verkehrs erfolgt in Personalunion mit den Börderegionskommunen Hohenhameln, Harsum und Algermissen.

Wir erfüllen hier einen gesetzlichen Auftrag und überprüfen die Einhaltung der für alle geltenden Regeln. Um eines gleich vorweg zu nehmen: wir bereichern uns nicht und machen auch nicht Kasse – so die häufigsten Vorwürfe. Zu den Einnahmen berichten wir regelmäßig und transparent und tatsächlich sind Ausgaben und Einnahmen in Sehnde im besten Fall gleich hoch und damit kostendeckend. Die Verwarngelder sind eine Zahlung für die, die sich nicht an geltendes Recht halten.<<

Wie bewerten Sie die Verkehrsüberwachung und die ständigen Diskussionen dazu in den sozialen Medien?

>>Grundsätzlich geht es bei der Überwachung der Einhaltung von Regeln um eine verbesserte Sicherheit für alle Verkehrsbeteiligten. Die Sensibilisierung für die Möglichkeit einer jederzeit stattfindenden Kontrolle sorgt langfristig für eine Verhaltensänderung der Verkehrsteilnehmenden. Damit leisten die zuständigen Kolleginnen durch ihre Tätigkeit einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der Verkehrssicherheit in Sehnde und damit zum Schutz aller Bürgerinnen und Bürger.

Wie ärgerlich es ist, bei einem Fehlverhalten erwischt zu werden und eine Strafe zahlen zu müssen, kann jeder von uns nachvollziehen. Aber die Ursache ist und bleibt ein Verhalten, das gegen die geltenden Regeln verstößt. Ich vermisse in vielen Situationen seitens der Verursachenden eine Selbstreflektion und Einsicht. Leider wird eher eine wütende Haltung angenommen und den Ordnungspersonen ein Fehlverhalten vorgeworfen – das ist eine verdrehte Sicht und hat wenig mit Recht und Regeln zu tun.

Alle hinter einem Lenkrad oder auf einem Motorrad sitzenden Verkehrsteilnehmenden haben irgendwann einmal eine Führerscheinprüfung abgelegt und sollten daher wissen, was erlaubt ist und was nicht. Häufig wird bei den Schilderungen der Betroffenen auf den Einzelfall, die Situation im „Dorf“ oder die doch ruhige Verkehrslage, hingewiesen. Das Parken auf dem Gehweg zum Beispiel soll im eigenen Wohnort kein Verstoß gegen die Regeln sein, weil es nur wenige Fußgängerinnen in dem Bereich gibt und diese auch auf die Straße ausweichen können. Auch das Parken gegen die Fahrtrichtung soll in einer ruhigen Nebenstraße kein Verkehrsverstoß sein.

Wenn wir feststehende und klare Regeln nach Gefühl und individueller Auffassung auslegen, wird es undurchsichtig und ungerecht. Auch um diese Unklarheiten auszuräumen und ein geregeltes Miteinander zu ermöglichen, wurden und werden Regeln geschaffen. Dabei muss nicht jedem einzelnen jede Regel gefallen, aber sie wurde auch zum Schutz für andere geschaffen und dienen als verbindliche Leitlinie.<<

Die Mitarbeiter führen einen Ratsbeschluss aus – Foto: Stadt Sehnde

Der nun erstmals erfolgte tätliche Übergriff auf und gegen die beiden zuständigen Kollegen der Stadtverwaltung geschah am Freitag in Höhe der Mittellandkanalbrücke auf dem „Klein Bolzumer Weg“.  Ist der nicht ohnehin teilweise gesperrt? Wie kommt es da zum Durchgangsverkehr?

>>Dieser Weg ist als Durchfahrt für den öffentlichen Verkehr nicht zugelassen. Darauf weisen auch die Beschilderungen deutlich hin. Der Anlieger- und Landwirtschaftsweg, der sich übrigens im südlichen Abschnitt – vom „Pfingstanger“ bis zur Kanalbrücke – nicht im Eigentum der Stadt Sehnde befindet, ist vielen Ortskundigen als schnelle Abkürzung bekannt und beliebt. Er wurde, um diese Nutzung zu verhindern, mit einer Schranke versehen.

Aktuell steht diese Schranke offen, denn der Weg dient während der Sperrung des Bahnüberganges zwischen Bolzum und Sehnde als ausgewiesene Umleitungsstrecke für den öffentlichen Personennahverkehr. Für den sonstigen Verkehr ist eine Umleitungsstrecke über Gretenberg, Ummeln, Wätzum, Lühnde, eingerichtet. Im Gegensatz zu einigen Äußerungen in den sogenannten „sozialen Medien“ ist dies eine Strecke von rund acht Kilometern – gemessen jeweils vom Rathaus Sehnde bis zum Dorfladen Bolzum -, die mehr gefahren werden muss.<<

Die fahrende Sehnder Bevölkerung leidet aktuell sehr unter mehreren zeitgleichen Baumaßnahmen. Warum konnten diese Baumaßnahmen nicht besser koordiniert werden?

>>Für die Maßnahmen gibt es unterschiedliche Verantwortlichkeiten. Die Region Hannover ist zum Beispiel zuständig für die Baumaßnahmen an der K 147, Müllingen, und die Deutsch Bahn ist zuständig für die Gleisarbeiten und die damit verbundene Sperrung des Bahnüberganges.

Selbstverständlich haben wir versucht, die zuständigen Stellen zu einer Koordination zu bewegen, aber bei großen Projekten mit vielen betroffenen Kommunen war es der Bahn nicht möglich, die Planungen für die Maßnahmen an unsere Bedarfe anzupassen – zumal die Sperrungen jeweils nur für kürzere Zeiträume angesetzt waren.

Ich bin persönlich von der Sperrung des Bahnüberganges betroffen und kann den Unmut verstehen, aber es sind für uns alle durchaus hinnehmbare Einschränkung für einen überschaubaren Zeitraum.<<

Hier fahren verbotenerweise auch Privatwagen durch – Foto: JPH

Beide angesprochenen Sperrungen sorgen für eine Zunahme der Nutzung von Wegen, die für den öffentlichen Verkehr nicht freigegeben sind. Ist es nötig, diese unrechtmäßige Nutzung in diesem Ausnahmezustand zu ahnden?

>>Wenn uns als Stadtverwaltung ein Rechtsverstoß auffällt, dann müssen wir tätig werden. Dennoch haben wir mit Blick auf diese besondere Verkehrssituation sehr wohl im Vorfeld entschieden, im Rahmen der Ausübung des Ermessens mit Augenmaß vorzugehen und zunächst von Kontrollen abzusehen.

Dieses Vorgehen geht aber nur so weit, wie es die Sicherheit und die Rechte anderer zulassen. Die verkehrswidrige Nutzung des „Klein Bolzumer Weges“ nahm eine so hohe Frequenz an, dass wir innerhalb kürzester Zeit Beschwerden aus der Bevölkerung erhielten, die auf eine Gefährdung von Fußgängerinnen und Radfahrenden durch rücksichtsloses Fahrverhalten von einzelnen Pkw-Fahrenden hinwiesen – und daher tätig werden mussten. Unser Ermessenspielraum war leider ausgereizt, als die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmenden gefährdet schien. Bei Untätigkeit laufen wir dann Gefahr, im Fall eines Schadens belangt zu werden.<<

Nun  ist es erstmals zu einem handgreiflichen Auseinandersetzung  mit den Bediensteten der Stadt gekommen. Das stellt eine Steigerung gegenüber den bisherigen verbalen Attacken dar. Gibt es für Sie einen Lösungsansatz?

>>Ja! Wir müssen gelassener werden, weniger wütend und tobend, einander zuhören. Gewalt jeglicher Art hat im Miteinander nichts zu suchen. Das gilt auch und insbesondere bei Attacken auf Amtsträger, Ehrenamtliche und Menschen, die ihre Pflicht erfüllen. Das ist nicht hinnehmbar und keinesfalls tolerierbar!

In was für einer Gesellschaft leben wir, wenn es akzeptiert wird, dass das Fehlverhalten einer Person nicht in Einsicht endet, sondern in Gewalt gegenüber den ahndenden Personen. Mir bereitet dies Sorge. In den Kommentaren einer Facebook Gruppe schrieb jemand: „Was ist bloß aus Sehnde geworden?“ Diese Äußerung richtete sich allerdings gegen unsere ordnungsrechtlichen Maßnahmen, aber ich sage hierzu: „Was ist bloß aus Sehnde geworden, wenn wir uns eher anfeinden als diskutieren, lieber öffentlich diskreditieren als hinterfragen, Gewalt als Mittel gegen geltende Regeln tolerieren.“<< 

Anzeige
Werben Sie bei Sehnde-News