Deutsch-polnischer Austausch zwischen DGB Gewerkschaftern und der NSZZ „Solidarnosc“

Erfahrungsaustausch zwischen Lehrter Gewerkschaftern und ihren polnischen Kolleginnen und Kollegen von der Solidarnosc, jener stolzen Gewerkschaft, die 1980 aus einer Streikbewegung entstanden war und mit ihren Protesten zum Sturz des Kommunismus in Polen beitrug. Der Umgangston ist herzlich. Doch vieles bleibt ungewohnt. Gewerkschafter hier und dort, das ist nicht das Gleiche. Obwohl Ostdeutschland und Polen fast gleichzeitig aus der sozialistischen Planwirtschaft in den Kapitalismus entlassen wurden, sind Selbstverständnis, Arbeitsweise und Mitbestimmungsrechte der Gewerkschaften kaum vergleichbar.

Gemeinsam mit den Kollegen Krzystof Domagal, Remigiusz Zarzycki und Kazimierz Kimso, Henning Alter, Agnieszka Zimowska, Danuta Utrata, Beata Nold, Martina Buchheim, Klaus Trusch, Uwe Bartel, Rainer Scharf, Robert Piesiur und Elisabeth Bolt-Bartel (v.li.) im Gewerkschaftshaus – Foto: DGB

Angekommen in Polen, merkten die 21 deutschen Gewerkschafter aus Niedersachsen, davon acht aus Lehrte, schon beim ersten Abendessen mit ihren Gastgebern, dass im Nachbarland in puncto Mitbestimmung vieles ganz anders funktioniert. Es gibt dort so gut wie keine Betriebsräte und wenn doch, werden sie von den Gewerkschaften als Konkurrenzorganisation wahrgenommen „Mit unserem Verständnis können wir da gar nicht rangehen“, urteilt Reinhard Nold, Vorsitzender des DGB Ortsverband Lehrte. „Flächentarifverträge kennen die polnischen Kolleginnen und Kollegen so gut wie gar nicht. Tarifverträge werden, wenn überhaupt, in erster Linie auf betrieblicher Ebene abgeschlossen. Ein Denken über den Betrieb hinaus existiert bei den betrieblichen Gewerkschaftsorganisationen eher nicht.“ Die Basis der polnischen Gewerkschaft ist der Betrieb. Grob geschätzt gibt es in Polen 25 000 einzelne Betriebsgewerkschaften. Drei Viertel von ihnen gehören einem der drei großen Dachverbände an; Solidarnosc, OPZZ und Forum ZZ. In den Betrieben stehen die Gewerkschaften in heftiger Konkurrenz zueinander. „In Großbetrieben versuchen mitunter 20 oder mehr Gewerkschaften, sich gegenseitig das Wasser abzugraben und mit dem Arbeitgeber einen Tarifvertrag auszuhandeln“, berichtet Nold.

Bei der Besichtigung des öffentlichen Nahverkehrsbetriebes MPK, in dem 1980 der Streik in Breslau begann, präsentierten sich die Gastgeber außerordentlich selbstbewusst. Immerhin sind hier mehr als die Hälfte der zika 700 Beschäftigten in der Solidarnosc organisiert. Die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen sind gegenüber vielen anderen Betrieben gut geregelt. Dies ist einem Tarifvertrag, den Solidarnosc Kollegen erkämpft haben, zu verdanken. Der Betrieb hat harte Zeiten hinter sich, seit Ende des Kommunismus wurde ein Standort geschlossen und viele organisatorische Veränderungen mussten begleitet werden. Der Vorsitzender der „Solidarnosc“ Region Dolny Slask (Niederschlesien), Kazimierz Kimso, verschweigt jedoch nicht, dass die Solidarnosc unter starkem Schwund leidet: von rund 9,5 Millionen Mitgliedern Anfang der 80er Jahren auf heute noch rund 400 000.

Niederlegen eines Blumengestecks am Mahnmal für die Solidarnosc-Kollegen durch Elisabeth Bolt-Bartel, Uwe Bartel, Reinhard Nold, Martina Buchheim und Klaus Trusch(v.li.) – Foto: DGB

Auch die Fragen nach Veränderungen in der polnischen Innenpolitik und über die Flüchtlingsfrage werden diskutiert. Kimso als Vertreter der Solidarnosc ist nicht ganz ohne Kritik an der regierenden rechtskonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS). Dennoch kommt die PiS-Partei bei den Gewerkschaften gut weg. Dies liegt daran, dass die bürgerlich-liberale Vorgängerregierung einen unternehmerfreundlichen Kurs gefahren hat und die Arbeitnehmer und Gewerkschaften darunter leiden mussten. Kimso sagte: „Wir sind außerordentlich zufrieden mit den jüngsten sozialen Wohltaten der PiS-Regierung. Sie hat ein Kindergeld von 115 Euro pro Kind eingeführt, den Mindestlohn erhöht, das Renteneintrittsalter gesenkt und fördert den sozialen Wohnungsbau.“

Zum Abschluss der Visite besuchten die Lehrter Gewerkschafter noch ein Museum zur Geschichte der Solidarnosc und legten am dortigen Mahnmal ein Blumengesteck für die in der Streikphase 1980 umgekommenen der Solidarnosc Kolleginnen und Kollegen nieder.

„Die Lehrter Gewerkschafter konnten viele neue Eindrücke von der Geschichte, der Situation im Land und vor allem der Menschen mitnehmen“, resümiert Nold. „Die Besichtigungen machten genauso Spaß wie die nahegehenden Berichte polnischer Kollegen über die Zeit der Großen Streiks in Breslau (Wroclaw).“ Wir müssen wiederkommen, ist das Fazit der Lehrter Kolleginnen und Kollegen. Auch warten sie auf einen Gegenbesuch von der Oder.

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